~~DISCUSSION~~

21.11.2012 11:36:43

Die kleinen Rädchen

Es ist schon erstaunlich wie leicht man sich der eigenen Verantwortungslosigkeit und Handlungunfähigkeit hinzugeben willens ist.

Jede öffentliche Anstalt wird zu 99 Prozent mit Leuten besetzt, deren Kompetenzen sich mit "Ich kann es doch auch nicht ändern!" erschöpfen.

Sagt der Mann vom Balkon. Wenn es mal so wäre. Wenn auch nur die Hälfe dieser Leute eine ernsthafte Absicht in sich trügen, Dinge zu ändern. Wenn auch nur bei einem Zehntel von ihnen ein Wille, eine Idee, ein wenig Kreativität vorhanden wäre, zu gestalten anstatt zu verwalten. Und selbst das Verwalten bezieht sich bei den Allermeisten lediglich auf sich selbst.

Aber es sind bei weitem nicht nur die öffentlichen Anstalten, die fast ausschließlich mit nur "kleinen Rädern" besetzt sind. Auch in hoch motivierten Branchen, in denen, die sich das Helfen, das Unterstützen und das Sich-um-andere-sorgen auf die Fahnen schreiben - in meiner, der Pädagogik und mit ihr verwandten Professionen - ist man über die feinverzahnte, akkurate Funkionstüchtigkeit erstaunt und entsetzt zugleich. Und leider muss ich mich da ganz unbedingt mit einschließen.

Wir sprechen von Systemen, von Interdependenzen, davon, dass man sich vernetzen muss, dass es komplex ist und immer komplexer werden wird. Und trotzdem begreifen wir nicht, welche Macht mit dieser Vernetzung und Verzahnung jedem einzelnen Rädchen zuteil wird. Dabei muss darf man dies nicht nur auf beruflicher Ebene betrachten.

Nicht nur, dass sich die Frage stellt, wie etwa der ganze NSU-Fuckup durch sämtliche Sicherheitsbehörden hindurch passieren konnte, der auch (ich bin mir sogar sicher hauptsächlich) deswegen nicht aufflog, weil jedes kleine Behördenzahnrädchen nicht in einer Ohnmachtslosigkeit gefangen war, sondern hauptsächlich in einer Parallelwelt aus Was-geht-mich-das-an-Naja-morgen-vielleicht-Oh-war-was agiert. Und diese Rädchen gehen anschließend nach Hause und wollen ihre Ruhe haben. IHRE RUHE!

Genauso gehen die Sozialarbeitenden nach Hause und wollen ihre Ruhe haben. Wollen ihren eigenen Steuer-, Strom-, Miet-, Versicherungsscheiß vielleicht morgen, vielleicht garnicht machen. Wenn es dein Job ist, nervige, lästige, unschöne Dinge zu erledigen, dann willst du nicht noch nervige, lässtige, unschöne Dinge in deiner Freizeit. Und so drehen sich die kleinen Rädchen, ohne zu hakeln, ohne zu knirschen.

Ab und zu kommen Nazis oder andere und demonstrieren Demonstrationen gegen oder für etwas und man kann sich dazu oder dagegen verhalten. Kann hingehn und applaudieren und so tun, als wäre man mehr als das kleine Rädchen. Kann sich einbilden, man könne mit den anderen in einen gleichen Drehrhythmus kommen, etwas bewirken, etwas drehen. Das hält bis 20:15 Uhr. Danach kommt Tatort und wir wissen alle wieder, wer die Guten und wer die Bösen sind und dass wir keine Veratwortung tragen. Dass es schon gerichtet wird. Und mit einem warmen Naja-morgen-vielleicht-Gefühl schlafen wir ein und vertrauen auf John Rambo.

Doch es ist nicht sein Krieg und so wachen wir am nächsten morgen auf und es ist wieder Rädchensein angesagt. Die kleinen Nervereien überstehen, vielleicht sogar lösen und weitergeschnurrt.

Leute, das geht so nicht. Wenn an diesem dämlichen Rädchen-Bild etwas dran sein sollte, dann fangt endlich an euch so zu verhalten. Warum fragt niemand, wo die Menschen die damals in Hoyaswerda, Rostock, Mölln geklatscht haben heute sind? Wie es ihnen geht, was sie denken? Was halten die Nachbarn des Pärchens aus Hoyarswerda von den Nazis im Treppenhaus? Was denkt die Fallmanagerin im Jobcenter so generell über die Verfahrens- und Behandlungsweisen in ihrer Behörde? Welche Ideen hätte sie? Wieso lässt du die menschenverachtenden Äußerungen deines Veinskameraden unkommentiert? Erst recht, wo er doch bei der Polizei ist? Warum duldest du seine Witze und deine eigene beschämende Untätigkeit? Wieso kapieren wir nicht, dass systemisch und interdependent die wirklichen Waffen sind? Dass wir jeden Tag entscheiden wie wir es uns einrichten wollen. Wie wir miteinander leben wollen. Was wir uns abverlangen und zumuten.

Ich glaube es gibt nur zwei Varianten. Entweder ich bin Teil des Systems, dann bin ich auch verantwortlich oder - ich bin raus.